Montag, 17. August 2009

Wer kommt zu meiner Beerdigung?

Was für eine seltsame Frage, denkt sicher der eine oder andere. Schließlich kann es dem Abgetretenen doch vollkommen egal sein, wie viele und ob überhaupt Leute zu seiner Beerdigung kommen. Vermutlich hat er ganz andere Sorgen, allerdings weiß niemand so genau welche. Wir können nur wenig über die Gemütslage nach dem Exitus sagen weil noch niemand wieder zurückgekommen ist, außer in Zombiefilmen.

Wie dem auch sei. Ich bin jetzt 56 Jahre alt und während mir unter der Dusche das Wasser aufs dünner werdende Haupthaar prasselt (immerhin, ich hab noch fast alles davon im Gegensatz zu vielen Altersgenossen) kommen mir immer häufiger asexuelle Gedanken. Zum Beispiel frage ich mich, ob das Geld wohl reicht um später wenigstens bescheiden aber doch sorglos alt zu werden oder ob dann noch jemand da ist, der mich beim Schnarchen in die Seite knufft. Oder - ob Leute zu meiner Beerdigung kommen, ich kann es nun mal nicht ändern.

In der Zeitung lese ich immer wieder, dass Tausende zu diesem oder jenem Begräbnis gekommen sind um den Verschiedenen zu beweinen. Berge von Blumen und Kränzen türmten sich auf dem Grab und die wehmütigen Abschiedsreden wollten gar nicht enden. Wenn ich tot wäre und würde all diese trauernden Menschen sehen, die den großen Verlust beklagen, womit ich gemeint bin, dann würde mich das doch mit einigem Stolz erfüllen. Schließlich könnten sie ja auch was ganz anderes tun, im Internet surfen, im Café sitzen und flirten, wichtige Geschäfte abschließen oder es sich einfach mal gut gehen lassen. Stattdessen opfern sie ihre Zeit um mir die letzte Ehre zu erweisen. Das ist schon was.

Andererseits, kann ich mir denn sicher sein, dass diese vielen Leute überhaupt meinetwegen zum Friedhof oder zur Trauerfeier kommen? Zumindest kommen mir Zweifel, ob der oder die Verstorbene bei so einem Mammut-Begräbnis wirklich jeden der leise ins Taschentuch weinenden Anwesenden persönlich kannte. Bei Elvis sollen es damals mindestens 40.000 Trauernde gewesen sein und bei Lady Di noch ein paar Tausend mehr. Um die alle kennen zu lernen, müsste man praktisch jeden Tag nur noch Hände schütteln und käme sonst zu nichts mehr.

Ich gehe wohl von falschen Voraussetzungen aus, denn ich bin nicht berühmt. Bei Prominenten kommen jede Menge Leute eben wegen der Prominenz. Eine einseitige Liebesbeziehung. Hass kann natürlich auch der Grund sein. Es gibt wahrscheinlich sogar Stalker nach dem Ableben. Ein bisschen gruselig, finde ich.

Für Nicht-Berühmte wie mich gilt, es kommen nur Leute, die dich kennen und mögen und Zeit haben. Da wird's schon etwas eng. Wie viele davon gibt es in meinem aktuellen Leben? Gut, ich kenne wohl an die hundert oder mehr Menschen und kannte über die ganze Lebenszeit fünf- bis sechsmal so viele; gemeint sind all jene, mit denen ich zumindest für eine gewisse Weile persönlichen Umgang gepflegt habe. Aber mögen die mich? Und würden sie sich die Zeit nehmen, zur Beerdigung zu kommen?

Obwohl es mir, wie gesagt, eigentlich egal sein könnte, wer eine Schaufel Sand meiner Urne hinterher wirft, besonders, weil ich nicht an eine Wiedergeburt glaube, betrübt mich der Gedanke, es könnte am Ende niemand dabei sein außer dem Totengräber. Irgendwie sieht das doch so aus, als wäre ich ein furchtbarer Mensch gewesen, unfähig auch nur ein einziges Herz für sich zu gewinnen. Wahrscheinlich kalt und egoistisch und zu beschäftigt selbst auf irgendeine Beerdigung zu gehen. Mit anderen Worten: ein gefühlloses Arschloch. Mancher hätte vielleicht die Ausrede, dass er fern von der Heimat gestorben ist, fern von den Angehörigen und Freunden und deshalb in aller Einsamkeit verscharrt wurde, aber in meinem Fall fürchte ich, werde ich ganz brav zuhause den Löffel abgeben.

Ist nicht eigentlich das Andenken an einen Verstorbenen und vor allem dessen Dauer nach dem Tod ein wahrer Indikator für den Wert des Menschen zu Lebzeiten? Und wenn nun keiner an meinem Grab erscheint und an mich denkt, hab ich dann ein wertloses und damit nutzloses Leben gelebt?

Kann es sogar sein, dass wir insgeheim alle diese eine Triebfeder in uns haben, nämlich Eindruck zu hinterlassen, der groß genug ist, um auch noch nach unserem Dahinscheiden weiter zu wirken, 'not fade away', wie die Stones schon sangen? Und sind wir oft sosehr damit beschäftigt, dass wir darüber vergessen richtig zu leben, unser einzigartiges Leben mit all seinen Ecken und Kanten, und stattdessen eine Art Promotion-Ausgabe von uns präsentieren, deren Aufrechterhaltung uns fast alle Kraft kostet, die wir ansonsten zum Erreichen unser echten Ziele dringend bräuchten?

Ich bin mir nicht sicher.

Also wache ich weiter ab und zu auf, mit dem Bild eines trostlos, kalten, verregneten Novembermorgens im Kopf. Ein älterer halbkahler Mann mit Gummistiefeln und Overall versenkt achtlos ein schmuckloses Metall-Behältnis in einem Erdloch, schaufelt mürrisch Sand rein und legt eine Grassode drauf. Begutachtet kurz seine Arbeit, tritt die Sode nochmal fest und eilt unter das Vordach des Geräteschuppens um sich eine Zigarette anzuzünden.

Und das war's.


 


 

Doping

Das Dilemma beim Doping ist immer dasselbe. Wir alle sind Voyeure, mehr oder weniger begeisterte, aber immerhin. Und jede Sportveranstaltung ist schlussendlich auch eine Show. Also erwarten wir, wie im Zirkus, auf der Bühne, im Kino oder beim schweren Verkehrsunfall auf der Gegenspur, kleine Wunder, Zaubereien, Höchstleistung und wenigstens ein bisschen Grusel. Je unglaublicher, umso schöner. Das wussten auch schon die alten Römer und veranstalteten 'Brot und Spiele' um die Massen davon abzuhalten sich politische Gedanken zu machen.

Heute können wir weltweit bequem im Fernsehsessel die Gladiatoren beim Kämpfen beobachten und wenn es nicht spektakulär genug ist, zeigt der Daumen nach unten und man geht zum 2. Bier über. Wenn also unsere modernen Arenakämpfer zu allen Mitteln greifen ist das nur konsequent, alle wissen das.

Peinlich und verwerflich ist dabei lediglich die Bigotterie von Funktionären und Politikern, die sich im Zweifel im Ruhm ihrer gedopten Spitzenathleten sonnen. Es wird Zeit über einen vollkommen neuen Modus nachzudenken und Doping nicht nur zu legalisieren, sondern ganz offen zu deklarieren, wie Reifenmarken bei der Formel 1 oder Anzughersteller beim Schwimmen.

Damit wir wählen können, muss es alternativ dann eben noch die dopingfreien Spiele geben!